Erfahrungen von gestern - Gedanken und Planungen für morgen
Nur wenige Erfahrungen hatten wir aufzuweisen, als wir am 13. Februar 1985 in unserem Wohnzimmer in Hofstätten mitten im Pfälzer Wald, den SENEGALHILFE-VEREIN gründeten. Vor allem waren es medizinische Hilfsgüter mit denen wir bis dahin in dem Lepradorf Mballing und in dem Heinrich-Lübke-Krankenhaus in Diourbel helfen konnten. Aber wir waren fest entschlossen, uns persönlich zu engagieren und eine Arbeit zu beginnen, die sich an den Maßstäben der Entwicklungshilfe messen lässt.
Wir, das waren zunächst einmal die Gründungsmitglieder unseres Vereins: Paul Brechtel Astrid Diehl, Dr. Klaus Diehl, Gerhard Jung, Ursula Jung, Joseph Krekeler, Dieter Racké, Doris Racké und Dr. Walter Reichhold.
Seitdem sind nun zehn Jahre vergangen. Ich kann es kaum fassen. Zehn Jahre dicht gefüllten Erlebens voller Arbeit und Probleme, aber auch eine Zeit der Freude und des Erfolges. Zehn Jahre, die unser Leben verändert haben. Dabei haben wir das Land Senegal im Westen Afrikas zunächst nur als Urlaubsland kennen gelernt. Es war im Sommer 1982. Unsere Eindrücke waren sehr vielschichtig. Da ist zuerst einmal unser Hotel in der Nähe der Stadt Mbour mit seinem westeuropäischen Komfort, mit einem herrlichen Badestrand und einem großen Freizeitpark. Eine Welt für sich inmitten einer ganz anderen Welt. Das wird uns klar, als wir uns auf den Weg machen, um Land und Leute in unserer Umgebung zu erleben. Tief beeindruckt sind wir von der kargen Landschaft mit dem herrlichen Geheimnis umwobenen Affenbrotbäumen und den langsam dahin ziehenden Viehherden. Darin aber sind es die Menschen, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ihre farbenprächtigen Gewänder können über die Armut, unter der die meisten leiden, nicht hinweg täuschen. Umso mehr bewundern wir die Fröhlichkeit und die Toleranz, die das Zusammenleben der Menschen bestimmen. Der Besuch in einem benachbarten Lepradorf konfrontiert uns mit dem Elend der vom Aussatz betroffenen Menschen. Diese Erfahrung wirkt in uns nach, bis zum heutigen Tag. Ebenso stark bewegt uns die Frage nach dem Schicksal der jungen Menschen, die zum größten Teil keine Zukunftsperspektiven haben, und schließlich beeindruckt uns die Haltung der Frauen, die mit Mut und Ausdauer, aber auch mit viel Fantasie das Leben ihrer Familien sichern und erhalten.
Auch nach der Rückkehr aus unserem Urlaub verblassen diese Eindrücke nicht. Im Gegenteil, immer mehr beschäftigt mich die Frage, wie es möglich wäre, sinnvoll und unmittelbar den Menschen in Senegal zu helfen. Dabei wird mir bewusst, dass es für mich als Europäerin sehr schwierig ist, in Geschichte, Kultur, Religion, aber auch in die inneren Strukturen und in die Mentalität der Menschen eines afrikanischen Landes einzudringen und ihre Zusammenhänge zu verstehen. Von außen wird dies kaum gelingen. Deshalb erkenne ich darin eine erste und wichtigste Aufgabe, mit den Menschen vor Ort in ihren eigenen Lebensbereichen zu leben. So könnte es gelingen, sie kennen zu lernen, mich in ihr Leben und Denken einzufühlen und zu erfahren, wie sie wirklich sind.
Bei meinen weiteren Aufenthalten in Senegal stellte es sich heraus, dass ich mit diesen Überlegungen auf dem richtigen Weg war und so herausfinden konnte, welche Hilfe die Menschen dort am nötigsten brauchen. Allerdings war ich mir von Anfang darüber im Klaren, dass unsere Hilfe nur dann einen Sinn hat, wenn sie die Empfänger dieser Hilfe in die Lage versetzt, sich selbst helfen zu können. Daraus entwickelt sich konsequent unsere Zielvorstellung: Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Dabei hat sich schon bald gezeigt, dass wir unsere Kräfte nicht in der Einzelfallhilfe verzetteln dürfen, sondern auf Maßnahmen konzentrieren müssen, die möglichst vielen Menschen zugutekommen.
Mit diesen grundsätzlichen Erkenntnissen gehen wir an die Arbeit und sammeln erste wichtige Erfahrungen im Bereich humanitärer Hilfe, die der medizinischen Versorgung der Leprakranken und der Krankenhauspatienten gilt. Die Begegnung mit Khady, einer jungen behinderten und sozial engagierten Frau, führt zu einer neuen, entscheidenden Weichenstellung unserer Arbeit. Noch klingen mir ihre Worte herausfordernd in den Ohren: „Bisher habt ihr euch um Kranke und Lepröse gekümmert. Jetzt ist es an der Zeit, dass ihr etwas für die Behinderten tut.“ Aus dieser provozierenden Bemerkung sind zwei Behindertenzentren entstanden, im Jahr 1988 in Mbour und ein Jahr später in dem 70 km entfernt liegenden Thies. Wie schwierig die Lage behinderter Menschen in Senegal ist, kann man auch daran erkennen, dass die von uns errichteten Behindertenzentren die ersten Einrichtungen dieser Art im ganzen Lande sind. Hier werden Behinderte nicht nur betreut, sondern sie haben die Möglichkeit, in den angeschlossenen Werkstätten als Schneider, Schuhmacher, Buchbinder oder Mechaniker ausgebildet zu werden und damit die Grundlage für eine eigene Existenz zu bekommen. In Mbour ist mit dem Behindertenzentrum ein kleines Wohnheim verbunden, das junge Männer aufnimmt, die wegen ihrer Behinderung auf eine Unterkunft in unmittelbarer Nähe zur Ausbildungsstätte angewiesen sind. Zur Gestaltung der Freizeit und der Förderung des kulturellen Lebens steht jeweils ein Mehrzwecksaal zur Verfügung. Dort können auch die Trommel-, Tanz- und Theatergruppen und der Behindertensport ihre Aktivitäten entfalten. Die Besucher unserer Projekte sind immer wieder tief beeindruckt von dem Engagement und der Leistungsfähigkeit der zum Teil schwerstbehinderten jungen Menschen. Mit großer Dankbarkeit beobachten und erleben wir, wie die Behinderten eine Atmosphäre der Lebensfreude und des friedlichen Miteinanders schaffen und nicht zuletzt ihr individuelles und ihr gemeinsames Leben mit einem großen Verantwortungsgefühl gestalten.
Die beiden Behindertenzentren haben ganz bewusst in ihr Konzept auch Angebote einbezogen, die über den Kreis der Behinderten hinausgehen. Da sind die Hauswirtschaftsklassen, die in Form einer Berufsschule junge Mädchen mit allen Kenntnissen und Fertigkeiten häuslicher Arbeit einschließlich Hygiene und Ernährungslehre vertraut machen. Dies ist gerade für die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in den meistens sehr armen Familien von großer Bedeutung. Hier sind auch die beiden Kindergärten mit insgesamt 150 Plätzen zu erwähnen, die eine wichtige Erziehungsarbeit im Vorschulalter leisten und damit indirekt auch die Familien fördern. Die Einrichtung einer Krankenpflegestation, einer Lehrküche und eines Frisiersalons sowie der Bau eines Verkaufskioskes für Produkte aus der Schneiderwerkstatt runden das Angebot des Behindertenzentrums in Mbour auf sinnvolle Weise ab.
Die Erfahrungen, die wir mit dem Bau, der Einrichtung und der Entwicklung der Arbeitsstrukturen in den beiden Behindertenzentren in Mbour und Thies gemacht haben, gaben uns Mut und neue Ideen für Projekte anderer Art, die immer deutlicher unsere Zielsetzung „Hilfe zur Selbsthilfe“ erkennen ließen. Dazu braucht man offene Augen, Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, mit den jeweils betroffenen Menschen Erfolg versprechende Wege zu gehen. Eine Grundvoraussetzung besteht darin, dass sich die Zielgruppen mit den Projekten identifizieren können. Nur wenn die Menschen, an die wir denken, ein Projekt wirklich wollen, besteht auch die Aussicht, dass sie später bereit und in der Lage sind, die Arbeit möglichst selbständig zu übernehmen. Aus dieser Erkenntnis entstanden die nächsten größeren Projekte. In der Marmeladefabrik lernen die Frauen, aus den einheimischen Früchten (Mangos, Orangen, Mandarinen, Bissap, Gouaven, Tamarin) eine schmackhafte Marmelade herzustellen, sie hygienisch einwandfrei in Gläser abzufüllen und mit Etiketten zu versehen. Nur so ist es möglich, die Produkte zu vermarkten, das heißt vor allem, Hotels zu beliefern. Für die einzelnen Familien haben noch größere Bedeutung die Gartenbauprojekte, die den Anbau von Gemüse ermöglichen und damit die Grundlage einer ausreichenden und gesunden Ernährung abgeben. 1990 haben wir damit in Sidi-Bougou begonnen. Hoch ragt der Wasserturm mit seinem Windrad wie ein Symbol über dem zwei 1 Hektar großen Gartenland. Aber gerade hier müssen wir einsehen: von alleine läuft nichts. Die Dorfbewohner müssen immer wieder zur kontinuierlichen Arbeit aktiviert, das heißt von der Sinnhaftigkeit ihres Tuns überzeugt werden.
Die Erfahrungen, die uns die Bohrung von Brunnen und die Anlage von Gärten vermitteln, führen zu dem bislang größten Projekt, das der SENEGALHILFE-VEREIN im Jahr 1993 abschließen kann. In der Nähe eines alten Dorfes entsteht, 20 km von Mbour entfernt, das Flüchtlingsdorf Louly-Ndia mit festen Häusern für dreißig Familien, die infolge der politischen Unruhen ihre Wohnsitze in Mauretanien verlassen mussten. In Verbindung mit einem Tiefbrunnen wird ein Hochbehälter mit 40 cbm Fassungsvermögen aufgestellt und eine 300 m lange Wasserleitung verlegt. Damit ist die Wasserversorgung des Dorfes und des vier Hektar großen Gartenlandes sichergestellt. Außerdem werden 30 Hektar Ackerland planiert und urbar gemacht. Hier wird inzwischen der traditionelle Hirse- und Erdnussanbau betrieben. Dies alles sind wichtige Voraussetzungen für eine ausreichende Lebensgrundlage der Dorfbewohner. Dem Dorf ist eine Schule angegliedert, die längst zu klein geworden ist. Außerdem gibt es eine Krankenpflegestation, die von einer ausgebildeten Hebamme und Krankenschwester betreut wird. Für die Arbeit mit den Frauen steht ein besonderer Saal zur Verfügung, in dem Näh- und Batikunterricht erteilt wird, aber auch Kurse zur Alphabetisierung der Frauen stattfinden. Wir sind stolz darauf, dass insgesamt ein blühendes Dorf entstanden ist, das als erstes Flüchtlingsdorf in Senegal Modellcharakter hat. Gerade dieses Projekt zeigt, dass es unerlässlich ist, zunächst einmal die wirtschaftlichen Grundlagen zu schaffen und eine entsprechende Infrastruktur zu entwickeln. Doch in gleicher Weise müssen wir darauf bedacht sein, die Integration der Flüchtlinge in die alten Nachbardörfer zu fördern und für das friedliche Zusammenleben im Flüchtlingsdorf einzutreten. Letzten Endes tragen aber nun die gewählten Vertreter des Dorfes, an der Spitze der Präsident, die Verantwortung für die weitere Entwicklung dieses kleinen Gemeinwesens.
In der Nähe des Flüchtlingsdorfes wird nun ein weiteres Gartenbauprojekt (Louly II) gestartet. Auf vier Hektar Fläche werden hier weitere Flüchtlingsfamilien aus Mauretanien, zusammen mit Einheimischen, wichtige Lebensvoraussetzungen finden. Louly III nimmt auch festere Formen an. Hier entsteht eine Gartenbauschule, die mit ihren Ausbildungs- und Weiterbildungsangeboten in allen einschlägigen Fragen des Gartenbaus eine spürbare Lücke schließen wird. Im Übrigen wird uns in nächster Zeit das Haus der Behinderten beschäftigen, das in unmittelbarer Nähe zu dem Behindertenzentrum in Mbour entstehen und eine Ausdehnung und Vertiefung der Arbeit mit den Behinderten bringen wird.
Im Februar 1994 bin ich von meinem 34. Arbeitsaufenthalt in Senegal zurückgekommen, müde, aber auch mit dem Gefühl großer Dankbarkeit für das Gelingen unserer Projekte. Seit mehr als zehn Jahren fliege ich dreimal pro Jahr nach Senegal und arbeite dort jeweils mehrere Wochen. Auch die meisten meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind mindestens einmal jährlich in Senegal. Ohne diesen gemeinsam getragenen Einsatz wäre eine erfolgreiche Durchsetzung unserer Arbeit und eine kontinuierliche Betreuung unserer Objekte nicht möglich gewesen. So gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mein herzlicher Dank, vor allem Ursula Jung, der stellvertretenden Vorsitzenden, die von der ersten Stunde an dabei ist. Sie alle haben große Bereitschaft zum Engagement mitgebracht, vorhandene Fähigkeiten weiterentwickelt und auch in neuen Aufgaben Kompetenz erworben. Unsere Erfahrungen geben uns Mut, neue Projekte in Angriff zu nehmen. Dies umso mehr, als es uns gelungen ist, im Lauf der Jahre qualifizierte senegalesische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, die fähig sind, in unseren Projekten Leitungsaufgaben zu übernehmen. Sie sind es auch, die bei der Planung und Vorbereitung neuer Projekte eine unverzichtbare Rolle spielen und gerade in der Zeit meiner Abwesenheit an meiner Stelle tätig werden. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrungen einer fairen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Hier gilt mein besonderer Dank Frau Khady Guèye, Herrn Mamadou Sokhna und Herrn Cheikh Ndiaye.
Am Ende meiner Überlegungen kann der Eindruck entstehen, dass die Erfahrungen von gestern mehr Gewicht haben als die Gedanken und Planungen für morgen. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass unsere Arbeit von Anfang an nicht am Schreibtisch entworfen wurde, sondern in der Begegnung mit Menschen, im Erkennen ihrer Probleme und im Eingehen auf ihre Bedürfnisse entstanden ist. Wir wollen auch weiterhin aus den Erfahrungen unserer Projekte lernen und daraus immer wieder aufs Neue die Konzeption für unsere nächsten Schritte entwickeln. Ich bin guten Mutes, dass wir auch in Zukunft zu einer hoffnungsvollen Entwicklung in Senegal beitragen können. Wir haben erfahren, dass es sich lohnt, dem Land und den Menschen zu helfen. Es lohnt sich auch für uns Ich weiß, dass ich nicht allein stehe, wenn ich sage: Mein Leben in zwei Welten ist nicht leichter, aber um vieles reicher geworden. So blicke ich in großer Dankbarkeit auf die vergangenen zehn Jahre zurück. Dankbar auch dafür, dass Gottes Schutz und Segen unsere Arbeit begleitet haben.
Geschichte des Vereins
Entwicklung der Senegalarbeit
Erfahrungen von gestern - Gedanken und Planungen für morgen
Nur wenige Erfahrungen hatten wir aufzuweisen, als wir am 13. Februar 1985 in unserem Wohnzimmer in Hofstätten mitten im Pfälzer Wald, den SENEGALHILFE-VEREIN gründeten. Vor allem waren es medizinische Hilfsgüter mit denen wir bis dahin in dem Lepradorf Mballing und in dem Heinrich-Lübke-Krankenhaus in Diourbel helfen konnten. Aber wir waren fest entschlossen, uns persönlich zu engagieren und eine Arbeit zu beginnen, die sich an den Maßstäben der Entwicklungshilfe messen lässt.
Wir, das waren zunächst einmal die Gründungsmitglieder unseres Vereins: Paul Brechtel Astrid Diehl, Dr. Klaus Diehl, Gerhard Jung, Ursula Jung, Joseph Krekeler, Dieter Racké, Doris Racké und Dr. Walter Reichhold.
Seitdem sind nun zehn Jahre vergangen. Ich kann es kaum fassen. Zehn Jahre dicht gefüllten Erlebens voller Arbeit und Probleme, aber auch eine Zeit der Freude und des Erfolges. Zehn Jahre, die unser Leben verändert haben. Dabei haben wir das Land Senegal im Westen Afrikas zunächst nur als Urlaubsland kennen gelernt. Es war im Sommer 1982. Unsere Eindrücke waren sehr vielschichtig. Da ist zuerst einmal unser Hotel in der Nähe der Stadt Mbour mit seinem westeuropäischen Komfort, mit einem herrlichen Badestrand und einem großen Freizeitpark. Eine Welt für sich inmitten einer ganz anderen Welt. Das wird uns klar, als wir uns auf den Weg machen, um Land und Leute in unserer Umgebung zu erleben. Tief beeindruckt sind wir von der kargen Landschaft mit dem herrlichen Geheimnis umwobenen Affenbrotbäumen und den langsam dahin ziehenden Viehherden. Darin aber sind es die Menschen, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ihre farbenprächtigen Gewänder können über die Armut, unter der die meisten leiden, nicht hinweg täuschen. Umso mehr bewundern wir die Fröhlichkeit und die Toleranz, die das Zusammenleben der Menschen bestimmen. Der Besuch in einem benachbarten Lepradorf konfrontiert uns mit dem Elend der vom Aussatz betroffenen Menschen. Diese Erfahrung wirkt in uns nach, bis zum heutigen Tag. Ebenso stark bewegt uns die Frage nach dem Schicksal der jungen Menschen, die zum größten Teil keine Zukunftsperspektiven haben, und schließlich beeindruckt uns die Haltung der Frauen, die mit Mut und Ausdauer, aber auch mit viel Fantasie das Leben ihrer Familien sichern und erhalten.
Auch nach der Rückkehr aus unserem Urlaub verblassen diese Eindrücke nicht. Im Gegenteil, immer mehr beschäftigt mich die Frage, wie es möglich wäre, sinnvoll und unmittelbar den Menschen in Senegal zu helfen. Dabei wird mir bewusst, dass es für mich als Europäerin sehr schwierig ist, in Geschichte, Kultur, Religion, aber auch in die inneren Strukturen und in die Mentalität der Menschen eines afrikanischen Landes einzudringen und ihre Zusammenhänge zu verstehen. Von außen wird dies kaum gelingen. Deshalb erkenne ich darin eine erste und wichtigste Aufgabe, mit den Menschen vor Ort in ihren eigenen Lebensbereichen zu leben. So könnte es gelingen, sie kennen zu lernen, mich in ihr Leben und Denken einzufühlen und zu erfahren, wie sie wirklich sind.
Bei meinen weiteren Aufenthalten in Senegal stellte es sich heraus, dass ich mit diesen Überlegungen auf dem richtigen Weg war und so herausfinden konnte, welche Hilfe die Menschen dort am nötigsten brauchen. Allerdings war ich mir von Anfang darüber im Klaren, dass unsere Hilfe nur dann einen Sinn hat, wenn sie die Empfänger dieser Hilfe in die Lage versetzt, sich selbst helfen zu können. Daraus entwickelt sich konsequent unsere Zielvorstellung: Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Dabei hat sich schon bald gezeigt, dass wir unsere Kräfte nicht in der Einzelfallhilfe verzetteln dürfen, sondern auf Maßnahmen konzentrieren müssen, die möglichst vielen Menschen zugutekommen.
Mit diesen grundsätzlichen Erkenntnissen gehen wir an die Arbeit und sammeln erste wichtige Erfahrungen im Bereich humanitärer Hilfe, die der medizinischen Versorgung der Leprakranken und der Krankenhauspatienten gilt. Die Begegnung mit Khady, einer jungen behinderten und sozial engagierten Frau, führt zu einer neuen, entscheidenden Weichenstellung unserer Arbeit. Noch klingen mir ihre Worte herausfordernd in den Ohren: „Bisher habt ihr euch um Kranke und Lepröse gekümmert. Jetzt ist es an der Zeit, dass ihr etwas für die Behinderten tut.“ Aus dieser provozierenden Bemerkung sind zwei Behindertenzentren entstanden, im Jahr 1988 in Mbour und ein Jahr später in dem 70 km entfernt liegenden Thies. Wie schwierig die Lage behinderter Menschen in Senegal ist, kann man auch daran erkennen, dass die von uns errichteten Behindertenzentren die ersten Einrichtungen dieser Art im ganzen Lande sind. Hier werden Behinderte nicht nur betreut, sondern sie haben die Möglichkeit, in den angeschlossenen Werkstätten als Schneider, Schuhmacher, Buchbinder oder Mechaniker ausgebildet zu werden und damit die Grundlage für eine eigene Existenz zu bekommen. In Mbour ist mit dem Behindertenzentrum ein kleines Wohnheim verbunden, das junge Männer aufnimmt, die wegen ihrer Behinderung auf eine Unterkunft in unmittelbarer Nähe zur Ausbildungsstätte angewiesen sind. Zur Gestaltung der Freizeit und der Förderung des kulturellen Lebens steht jeweils ein Mehrzwecksaal zur Verfügung. Dort können auch die Trommel-, Tanz- und Theatergruppen und der Behindertensport ihre Aktivitäten entfalten. Die Besucher unserer Projekte sind immer wieder tief beeindruckt von dem Engagement und der Leistungsfähigkeit der zum Teil schwerstbehinderten jungen Menschen. Mit großer Dankbarkeit beobachten und erleben wir, wie die Behinderten eine Atmosphäre der Lebensfreude und des friedlichen Miteinanders schaffen und nicht zuletzt ihr individuelles und ihr gemeinsames Leben mit einem großen Verantwortungsgefühl gestalten.
Die beiden Behindertenzentren haben ganz bewusst in ihr Konzept auch Angebote einbezogen, die über den Kreis der Behinderten hinausgehen. Da sind die Hauswirtschaftsklassen, die in Form einer Berufsschule junge Mädchen mit allen Kenntnissen und Fertigkeiten häuslicher Arbeit einschließlich Hygiene und Ernährungslehre vertraut machen. Dies ist gerade für die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in den meistens sehr armen Familien von großer Bedeutung. Hier sind auch die beiden Kindergärten mit insgesamt 150 Plätzen zu erwähnen, die eine wichtige Erziehungsarbeit im Vorschulalter leisten und damit indirekt auch die Familien fördern. Die Einrichtung einer Krankenpflegestation, einer Lehrküche und eines Frisiersalons sowie der Bau eines Verkaufskioskes für Produkte aus der Schneiderwerkstatt runden das Angebot des Behindertenzentrums in Mbour auf sinnvolle Weise ab.
Die Erfahrungen, die wir mit dem Bau, der Einrichtung und der Entwicklung der Arbeitsstrukturen in den beiden Behindertenzentren in Mbour und Thies gemacht haben, gaben uns Mut und neue Ideen für Projekte anderer Art, die immer deutlicher unsere Zielsetzung „Hilfe zur Selbsthilfe“ erkennen ließen. Dazu braucht man offene Augen, Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, mit den jeweils betroffenen Menschen Erfolg versprechende Wege zu gehen. Eine Grundvoraussetzung besteht darin, dass sich die Zielgruppen mit den Projekten identifizieren können. Nur wenn die Menschen, an die wir denken, ein Projekt wirklich wollen, besteht auch die Aussicht, dass sie später bereit und in der Lage sind, die Arbeit möglichst selbständig zu übernehmen. Aus dieser Erkenntnis entstanden die nächsten größeren Projekte. In der Marmeladefabrik lernen die Frauen, aus den einheimischen Früchten (Mangos, Orangen, Mandarinen, Bissap, Gouaven, Tamarin) eine schmackhafte Marmelade herzustellen, sie hygienisch einwandfrei in Gläser abzufüllen und mit Etiketten zu versehen. Nur so ist es möglich, die Produkte zu vermarkten, das heißt vor allem, Hotels zu beliefern. Für die einzelnen Familien haben noch größere Bedeutung die Gartenbauprojekte, die den Anbau von Gemüse ermöglichen und damit die Grundlage einer ausreichenden und gesunden Ernährung abgeben. 1990 haben wir damit in Sidi-Bougou begonnen. Hoch ragt der Wasserturm mit seinem Windrad wie ein Symbol über dem zwei 1 Hektar großen Gartenland. Aber gerade hier müssen wir einsehen: von alleine läuft nichts. Die Dorfbewohner müssen immer wieder zur kontinuierlichen Arbeit aktiviert, das heißt von der Sinnhaftigkeit ihres Tuns überzeugt werden.
Die Erfahrungen, die uns die Bohrung von Brunnen und die Anlage von Gärten vermitteln, führen zu dem bislang größten Projekt, das der SENEGALHILFE-VEREIN im Jahr 1993 abschließen kann. In der Nähe eines alten Dorfes entsteht, 20 km von Mbour entfernt, das Flüchtlingsdorf Louly-Ndia mit festen Häusern für dreißig Familien, die infolge der politischen Unruhen ihre Wohnsitze in Mauretanien verlassen mussten. In Verbindung mit einem Tiefbrunnen wird ein Hochbehälter mit 40 cbm Fassungsvermögen aufgestellt und eine 300 m lange Wasserleitung verlegt. Damit ist die Wasserversorgung des Dorfes und des vier Hektar großen Gartenlandes sichergestellt. Außerdem werden 30 Hektar Ackerland planiert und urbar gemacht. Hier wird inzwischen der traditionelle Hirse- und Erdnussanbau betrieben. Dies alles sind wichtige Voraussetzungen für eine ausreichende Lebensgrundlage der Dorfbewohner. Dem Dorf ist eine Schule angegliedert, die längst zu klein geworden ist. Außerdem gibt es eine Krankenpflegestation, die von einer ausgebildeten Hebamme und Krankenschwester betreut wird. Für die Arbeit mit den Frauen steht ein besonderer Saal zur Verfügung, in dem Näh- und Batikunterricht erteilt wird, aber auch Kurse zur Alphabetisierung der Frauen stattfinden. Wir sind stolz darauf, dass insgesamt ein blühendes Dorf entstanden ist, das als erstes Flüchtlingsdorf in Senegal Modellcharakter hat. Gerade dieses Projekt zeigt, dass es unerlässlich ist, zunächst einmal die wirtschaftlichen Grundlagen zu schaffen und eine entsprechende Infrastruktur zu entwickeln. Doch in gleicher Weise müssen wir darauf bedacht sein, die Integration der Flüchtlinge in die alten Nachbardörfer zu fördern und für das friedliche Zusammenleben im Flüchtlingsdorf einzutreten. Letzten Endes tragen aber nun die gewählten Vertreter des Dorfes, an der Spitze der Präsident, die Verantwortung für die weitere Entwicklung dieses kleinen Gemeinwesens.
In der Nähe des Flüchtlingsdorfes wird nun ein weiteres Gartenbauprojekt (Louly II) gestartet. Auf vier Hektar Fläche werden hier weitere Flüchtlingsfamilien aus Mauretanien, zusammen mit Einheimischen, wichtige Lebensvoraussetzungen finden. Louly III nimmt auch festere Formen an. Hier entsteht eine Gartenbauschule, die mit ihren Ausbildungs- und Weiterbildungsangeboten in allen einschlägigen Fragen des Gartenbaus eine spürbare Lücke schließen wird. Im Übrigen wird uns in nächster Zeit das Haus der Behinderten beschäftigen, das in unmittelbarer Nähe zu dem Behindertenzentrum in Mbour entstehen und eine Ausdehnung und Vertiefung der Arbeit mit den Behinderten bringen wird.
Im Februar 1994 bin ich von meinem 34. Arbeitsaufenthalt in Senegal zurückgekommen, müde, aber auch mit dem Gefühl großer Dankbarkeit für das Gelingen unserer Projekte. Seit mehr als zehn Jahren fliege ich dreimal pro Jahr nach Senegal und arbeite dort jeweils mehrere Wochen. Auch die meisten meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind mindestens einmal jährlich in Senegal. Ohne diesen gemeinsam getragenen Einsatz wäre eine erfolgreiche Durchsetzung unserer Arbeit und eine kontinuierliche Betreuung unserer Objekte nicht möglich gewesen. So gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mein herzlicher Dank, vor allem Ursula Jung, der stellvertretenden Vorsitzenden, die von der ersten Stunde an dabei ist. Sie alle haben große Bereitschaft zum Engagement mitgebracht, vorhandene Fähigkeiten weiterentwickelt und auch in neuen Aufgaben Kompetenz erworben. Unsere Erfahrungen geben uns Mut, neue Projekte in Angriff zu nehmen. Dies umso mehr, als es uns gelungen ist, im Lauf der Jahre qualifizierte senegalesische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, die fähig sind, in unseren Projekten Leitungsaufgaben zu übernehmen. Sie sind es auch, die bei der Planung und Vorbereitung neuer Projekte eine unverzichtbare Rolle spielen und gerade in der Zeit meiner Abwesenheit an meiner Stelle tätig werden. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrungen einer fairen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Hier gilt mein besonderer Dank Frau Khady Guèye, Herrn Mamadou Sokhna und Herrn Cheikh Ndiaye.
Am Ende meiner Überlegungen kann der Eindruck entstehen, dass die Erfahrungen von gestern mehr Gewicht haben als die Gedanken und Planungen für morgen. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass unsere Arbeit von Anfang an nicht am Schreibtisch entworfen wurde, sondern in der Begegnung mit Menschen, im Erkennen ihrer Probleme und im Eingehen auf ihre Bedürfnisse entstanden ist. Wir wollen auch weiterhin aus den Erfahrungen unserer Projekte lernen und daraus immer wieder aufs Neue die Konzeption für unsere nächsten Schritte entwickeln. Ich bin guten Mutes, dass wir auch in Zukunft zu einer hoffnungsvollen Entwicklung in Senegal beitragen können. Wir haben erfahren, dass es sich lohnt, dem Land und den Menschen zu helfen. Es lohnt sich auch für uns Ich weiß, dass ich nicht allein stehe, wenn ich sage: Mein Leben in zwei Welten ist nicht leichter, aber um vieles reicher geworden. So blicke ich in großer Dankbarkeit auf die vergangenen zehn Jahre zurück. Dankbar auch dafür, dass Gottes Schutz und Segen unsere Arbeit begleitet haben.
Doris Racke´